- Frau und Familie im Koran
- Frau und Familie im KoranDie Ehe wird im Islam als zivilrechtlicher Vertrag aufgefasst; dennoch aber entspricht sie dem Schöpfungswillen Gottes, ist ein hohes Gut, und in der Familie werden wichtige Regeln der Glaubensgemeinschaft eingeübt. Aus koranischen Texten erschloss die Sunna einen dreifachen Ehezweck: Vor allem dient die Ehe der Zeugung von Nachkommenschaft, dann ist sie auch Gemeinschaft von Mann und Frau(en), Eltern und Kindern, wobei jeder dem anderen gegenüber Pflichten hat, drittens schließlich soll sie den Geschlechtstrieb befriedigen und in geordnete Bahnen lenken, wobei aber dem Mann noch große Freiheiten bleiben.Die Ausführungen des Korans zu Frau und Ehe verraten, dass hier wohl unterschiedliche Traditionen zusammengekommen sind. Wichtig sind die Stellen, die eine prinzipielle Gleichrangigkeit von Mann und Frau hinsichtlich ihres letzten Zieles umschreiben; in Sure 9 in Vers 71-72 heißt es: »Und die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde. .. Gott hat den gläubigen Männern und Frauen Gärten versprochen, in deren Niederungen. .. Bäche fließen, dass sie [ewig] darin weilen, und gute Wohnungen in den Gärten von Eden. Aber Wohlgefallen Gottes bedeutet [noch] mehr. .. Das ist das große Glück«. Sure 3 stellt in Vers 195 die ethische Gleichwertigkeit von Mann und Frau heraus: »Ich werde keine Handlung unbelohnt lassen (und verloren gehen lassen), die einer von euch begeht, [gleichviel ob] männlich oder weiblich«.Andere Ausführungen im Koran erwecken aber den Eindruck, als sei das Paradies eine Männersache; ihnen werden als Moment des paradiesischen Glücks auch sexuelle Freuden verheißen mit - möglicherweise zu diesem Zweck eigens erschaffenen - »großäugigen Huris«, mit makellosen und jungfräulichen Mädchen. In diesem Leben aber gilt gemäß Sure 4 Vers 34: »Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie [von Natur vor diesen] ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen [als Morgengabe für die Frauen?] gemacht haben. .. Und wenn ihr fürchtet, dass irgendwelche Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch [daraufhin wieder] gehorchen, dann unternehmt weiter nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß«.Das Verhältnis von Mann und Frau, die »einander in Liebe und Erbarmen zugetan« sind, und die Sexualität werden positiv gezeichnet und das Verheiratetsein als allgemeines Ziel entworfen. Dennoch wird die Rolle der Frau passiv gesehen, und Frauen haben keine Mitwirkungsrechte: »Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. Geht zu diesem [eurem] Saatfeld, wo immer ihr wollt!« (Sure 2 Vers 223), der Vers spiegelt die biologischen Vorstellungen der damaligen Zeit. Ähnlich setzt der Koran auch als selbstverständlich voraus, dass Töchter einen geringeren Wert haben als Söhne. Eine Verwandte erbt auch nur die Hälfte dessen, was sie als Mann bekäme, und die Zeugenaussage einer Frau gilt nach Sure 2 Vers 282 nur halb so viel wie die eines Mannes. Zwar verbessert der Koran den Schutz der Frauen: Die in vorislamischer Zeit zulässige Tötung von neugeborenen Mädchen wird wie die von Jungen verboten. Frauen sind jetzt eingeschränkt erbberechtigt und - von Sklavinnen abgesehen - nicht mehr Bestandteil eines Erbes; aber ihre Rechtsstellung bleibt weit unter derjenigen der Männer.Der Koran räumt zu Beginn der vierten Sure den Männern die Möglichkeit ein, gleichzeitig vier Frauen zu haben. Diese Polygynie kennt zwar eine Bedingung: »Wenn ihr aber fürchtet, [so viele] nicht gerecht zu [be]handeln, dann [nur] eine oder was ihr an Sklavinnen besitzt«. Dieser Satz wird von modernen Muslimen angeführt, um die Einehe als eigentliches Ziel des Korans aufzuzeigen; aber in der gleichen Sure im 129. Vers scheint die Einschränkung mit Verweis auf die männliche Schwäche und die Barmherzigkeit Gottes für die Praxis relativiert zu sein. Nach dem 24. Vers ist dem (wohlhabenden) Mann über seine Ehefrauen hinaus der Verkehr mit seinen Sklavinnen, auch wenn sie mit anderen verheiratet sind, sowie gegen Bezahlung mit Konkubinen möglich: »Und [verboten sind euch] die ehrbaren Ehe[frauen], außer was ihr [an Ehefrauen als Sklavinnen] besitzt. [Dies ist] euch von Gott vorgeschrieben. Was darüber hinausgeht, ist euch erlaubt, [nämlich] dass ihr euch als ehrbare [Ehe]männer, nicht um Unzucht zu treiben, mit eurem Vermögen [sonstige Frauen zu verschaffen] sucht. Wenn ihr dann welche von ihnen. .. genossen habt, dann gebt ihnen ihren Lohn als Pflichtteil!«.Es gibt eine Reihe von Ehehindernissen, die sich vor allem aus Verwandtschaftsverhältnissen ergeben. Darüber hinaus dürfen Muslime keine heidnischen, wohl aber jüdische und christliche Frauen heiraten; muslimischen Frauen aber ist nach Sure 60 die Ehe auch mit Juden und Christen untersagt. Die Ehescheidung ist für Männer relativ einfach möglich. Im Verlauf der muslimischen Geschichte wurden die koranischen Vorschriften immer neu angewendet und in neuen kulturellen Rahmenbedingungen weiter entfaltet. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Entwicklung für die Frauen nicht günstig verlief. Moderne Musliminnen fordern deswegen heute, wenigstens nur die koranischen Regeln strikt zu beachten und die Bestimmungen der Sunna abzuschaffen, die nicht im Koran zu finden sind. Offensichtlich kannten Frauen in der Frühzeit des Islam noch Freiheiten, die sich zum Beispiel aus den beduinischen Lebensformen ergaben, die eine strikte Absonderung aus der Öffentlichkeit noch unmöglich machten. Einige Anzeichen sprechen auch dafür, dass Frauen in den ersten zwei Jahrhunderten noch an Gottesdiensten in der Moschee teilnehmen durften.Prof. Dr. Karl-Heinz OhligParet, Rudi: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten. Stuttgart u. a. 71991.
Universal-Lexikon. 2012.